Friday, December 08, 2006

Essay: Vorlaeufige Fassung


Arbeit bis 13. Dezember: Zitate, Seiten und Quellenangaben ueberpruefen; Lebensdaten der AnthropologInnen, theoretische Basis; Form des Literaturverzeichnisses ueberpruefen; Orthografie; Abgabe 14. Dezember 2006


DER ERSTE PARADIGMENWECHSEL IN DER ANTHROPOLOGISCHEN THEORIEBILDUNG IN DEN VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA

EINLEITUNG

In diesem Essay werde ich die anthropologische Theoriebildung im U. S. — amerikanischen Raum diskutieren, besonders interessiert dabei der erste Paradigmenwechsel zur Zeit des „Fin de Siecle“. Die Veränderungen in einer sich etablierenden Wissenschaft vom Menschen war zunächst von evolutionistischen Theorien mit vornehmlich kolonialistisch — zentrischen Vorzeichen geprägt. Die Vorraussetzungen zur Weiterentwicklung im ethnologischen Fach hinsichtlich der „ersten Wende“ stelle ich im folgenden Kapitel dar. Wesentliche Veränderungen in den wissenschaftlichen Ansätzen werden im zweiten Kapitel ausgeführt, die VertreterInnen unseres Faches und ihre individuellen Betrachtungsweisen folgen.

Die Begrifflichkeit, die diesen Paradigmenwechsel bezeichnet — „cultural relativism“ — wurde erstmals in den vierziger Jahren explizit formuliert1. Anthropologische Paradigmen liefern Erklärungen und Fakten zu Studien in einem gegebenen Kontext, die Disziplin erfährt ebenso Wandel und Paradigmenwechsel wie andere: Alan Barnard formuliert Moden und explanatorische Werte2 als wichtigen Teil dieser wissenschaftlichen Revolutionen (Vgl. Barnard 2000: 8), wozu Thomas Kuhn die Konzeption wissenschaftlicher Paradigmen erweiterte (Kuhn 1976). Kuhns Paradigmenbegriff wurde von Sozialwissenschaftern schnell aufgegriffen, um sich im weitesten Sinn auf theoretische Tendenzen zu beziehen (Vgl. Barnard/Spencer 2003: 616). So wird nach Stagl (Stagl 1999: 226) der holistische Kulturrelativismus als Doktrin und Variante des Historismus bezeichnet, in der „Enyclopedia of Social and Cultural Anthropology“ (Barnard/Spencer 2003) fehlt ein Eintrag, obwohl freilich in den Einträgen „culture“ und „diffusionism“ einiges über Boas zu finden ist, und in „The Rise of Anthropological Theory“ wird das Label „Historical Particularism“ mit der „Boasian period“ assoziiert (Harris 2001: 250).

1Vergleiche Cultural Relativism Wikipedia
2Zu Moden und Stroemungen in der Anthropologie schreiben Bohannan/Womack/Saenz 1999 einen treffenden Artikel, wie ich meine.


1. DIE SITUATION VOR DER „ERSTEN WENDE“

Die theoretische Strömung des Evolutionismus ging einer Änderung der Forschungsinteressen voraus. Dieser Theoriekomplex beeinflusste die Anthropologie nach der Phase der ersten Reisebeschreibungen und Datensammlungen vor dem Hintergrund nationaler, kolonialer, ethnozentrischer und industrieller Interessen. Evolutionistische Theorien basierten auf der Annahme einer Entwicklung der Menschen von einem Urzustand der Wildheit, über Barbarei bis zu Zivilisation, als am höchsten vorgestellten, weil am fortgeschrittensten, Stufe. Die Idee der Entwicklung einer zivilen, politischen, amerikanischen Gesellschaft, die der europäischen moralisch überlegen sein sollte, bildete eine Basis zur Definition nationaler Identität in Amerika (Vgl. Patterson 2001: 7). So setzte die Erforschung der indianischen Sprachen früh ein, weil philologische und philosophische Bestrebungen nach einer nationalen Sprache virulent waren. Politische Interessen trieben die Expansion der Vereinigten Staaten nach Westen voran, Thomas Jefferson ordnete in der Folge das Sammeln ethnographischer Daten über Sprache, Religion, Geschichte, Subsistenz, Gesundheit und weiteren Belangen der unterworfenen Stämme an (Vgl. Patterson 2001: 9 ff). Vermeintliche Inferiorität afrikanischer Sklaven und American Indians wurde einerseits mit biologischen, andererseits kulturellen Argumenten praejudiziert. Lewis Henry Morgan (1818 — 1881), als erster, bedeutender „armchair anthropologist“, fokussierte auf die soziale Organisation der nordamerikanischen Stämme, indem er den Gelehrten Schoolcraft und Haven folgte: Die amerikanischen Stämme kämen aus Asien und hätten einen gemeinsamen Ursprung (Vgl. Patterson 2001: 27). Morgan dachte einen unilinearen Evolutionismus, der sich aus monogenistischen Theorien entwickelte, obschon „Morgan´s interest was drawn to the major issue of the day: the unity of the human species.“ (Patterson 2001: 26) Polygenistische Theorien Mortons oder Squiers, Knoxes oder Hunts standen im Gegensatz dazu. Sie dachten, das technische Entwicklungen vor allem angeboren seien, und die Fähigkeiten dazu unveränderbar (Vgl. Barnard 2000 : 23 f; Patterson 2001: 28).

Die neuen Zugänge ethnologischer Arbeit werden aufgrund der vorhergehenden, minimalen, Darstellung des Ausgangspunktes im nächsten Kapitel auseinandergesetzt. Diese veränderten die Anthropologie für immer, und Franz Boas nahm eine zentrale Stellung als „Gründervater der amerikanischen Anthropologie“ ein. Ihre Vertreter erneuerten die Anthropologie sowohl in empirischem, als auch in paradigmatischem Hinblick: „The ideas introduced by Morgan or Boas, Harris or Geertz, have had a tremendous impact on the worldwide development of the discipline.“ (Godina 1999 : vii)


2. PARADIGMENWECHSEL UND THEORETISCHE ASPEKTE

2.1 BOAS UND DIE NEUEN METHODEN

„Sometimes the larger perspective which embraces both evolutionism and diffusionism is called the diachronic one (indicating the relation of things through time). Its opposite is the synchronic perspective (indicating the relation of things together in the same time).“ (Barnard 2000: 8) Franz Boas (1858 — 1942) wurde in Minden, Westfalen, geboren. Vorerst studierte er Mathematik, dann erlangte er sein Doktorrat in physischer Geographie mit einer These zu „Contributions to the Understanding of the Colour of Water“ (Gaillard 2004: 60). Boas beherrschte also die naturwissenschaftlich — exakte Arbeit. Sein erster Aufenthalt 1883 bei den Kwakiutl zeigte ihm aber die Unzulänglichkeit seiner Kenntnisse, er beschäftigte sich mit den historischen Kulturwissenschaften und wandte sich der Anthropologie zu. Wieder in Berlin, unterrichtete er Geografie an der Universität. Bei einem Besuch einer Gruppe Bella Coola überredete er seinen Lehrer Adolf Bastian in eine neuerliche Reise nach Nordamerika einzuwilligen. Boas hätte seiner jüdischen Religion abschwören müssen, um eine dauerhafte Stelle an der Universität Berlin einzunehmen (vgl. Gaillard 2004: 60 f.). Er erhielt aber eine einjährige Assistentenstelle am Museum für Völkerkunde bei Adolf Bastian (Chevron 2004: 123). Sowohl Bastians, als auch Friedrich Ratzels Einfluss auf Boas, und die Verwandtschaft mit Ansätzen der deutschsprachigen Ethnologie seien bisher ignoriert und negiert worden (vgl. Chevron 2004: 123). Kulturrelativistische Traditionen, die auf Herder zurückzuführen sind, sowie „neo — Kantian thinkers“ (Patterson 2001: 45) prägten die Ansichten Boas in philosophischer Weise.

Boas Kritik an evolutionärem Rekonstruktivismus (vgl. Harris 2001: 254), der „four field approach“ als interdisziplinäres Projekt, Kulturen als zentrales Konzept der Forschung, die Kritik an Rassismen, Ethnozentrismen, biologistischen Interpretationen der Menschheitsentwicklung im Bereich der physischen Anthropologie, die Betonung der psychischen Einheit der Menschen, das Interesse an der partikulären Geschichte von Kulturen, weisen Franz Boas als den Wissenschafter aus, der vor allem die Methoden der Datenerhebung des Fachs veränderte. Nach Boas verführe die historische Rekonstruktion zu falschen Erkenntnissen, weil Unterschiede nicht wahrgenommen würden. Er erhebt also die Relativierung zum Prinzip seiner Arbeit, indem er diese als letztgültige Aussage gelten lässt (vgl. Chevron 2004: 153). Die Feldforschung, nun zum Ultimo der ethnologischen Datengewinnung erhoben, und das Studium der in der Kultur gesprochenen Sprache praktizierte Boas vorerst auf Baffin Island, dem Gebiet der Inuit. Später, nachdem er aus einem zunehmend antijudaistischen und intellektuell einschränkenden Europa emigrierte, erforschte er das Fest zur Geschenkverteilung an der Nordwestküste Nordamerikas. „Generationen von Ethnologen nach Boas bot es [Anmerkung Amber: Das Werk Boas (1895) „The Social Organization and the Secret Societies of Kwakiutl Indians“] — zusammen mit seinen weiteren Werken bzw. Textsammlungen — das wohl wichtigste Material zur Begründung von Potlach — Theorien.“ (Feest/Kohl 2001: 51) In einem Artikel — „The Limitations of the Comparative Method of Anthropology“ — bemängelte Boas 1896 die Vergleiche der Evolutionisten und schlug vor, alle generalisierenden Theorien nach deduktiven Methoden zurück zu weisen4. Statt dessen soll soziale Entwicklung, sowie deren Prozesse der Entstehung induktiv erfasst werden. Denn es sei gefährlich nur die Ergebnisse sozialer Entwicklung zu betrachten, weil dadurch die differierenden Ursprünge der Gebräuche oder Traditionen verdeckt würden.

Kroeber

„Boas and his first generation of students were obliged to build professional, university-based anthropology practically from the ground up.“ (Harris 2001: 251) Die Zentren der anthropologischen Arbeit bewegten sich weg von den Gesellschaften, hin zur Arbeit in den Museen und an die Universitäten. Franz Boas konnte den ersten Lehrstuhl für Anthropologie sein eigen nennen. Er bildete zahlreiche AnthropologInnen aus, wie ich im nächsten Kapitel ausführen werde. Im nächsten Kapitel werde ich ausführen, dass Franz Boas zahlreiche AnthropologInnen ausbildete, die seine Theorien

3In ihrem Buch „Anpassung und Entwicklung in Evolution und Kulturwandel“ beschreibt Chevron (2004: 123 – 153) genau Bastians und Ratzels Einfluss auf Boas, seine theoretischen und epistemologischen Ansätze in der relativistischen Tradition der romantisierenden Philosophien Herders, Kants, und anderen.
4Diese Haltung koenne auch „Boasianischer Nominalismus“ genannt werden, so Gaillard (2004: 62)


2.2. WISSENSCHAFTERINNEN NACH DEM PARADIGMENWECHSEL

Mehrere Generationen von Wissenschaftern setzten die wissenschaftliche Arbeit nach Boas Paradigmen fort, oft extremer orientiert, als ihr Lehrer selbst. Seine Schüler Alfred Kroeber, Robert Lowie, Fay-Cooper Cole, Edwin Sapir, Melville Herskovits, Alexander Goldenweiser, Alexander Lesser, Paul Radin, Clark Wissler, Leslie Spier, J. Alden Mason, E. Adamson Hoe-bel, Ruth Benedict, Margaret Mead, Ruth Bunzel, Jules Henry, M. F. Ashley Montagu, Frank Speck (Vgl. Harris 2001: 251) vertraten einerseits einen harten, andererseits weichen Kulturrelativismus. Die populärsten Werke der Anthropologie schrieben Boas Schülerinnen, Margaret Mead und Ruth Benedict, die der „Culture and Personality School“ zuzuordnen sind. Diese Richtung wird mit Edward Sapir (1884 — 1939) in Verbindung gebracht, seine Analysen thematisieren unbewusste Muster in der Sprache. Der Bestseller unseres Fachs heisst „Patterns of Culture“ von Ruth Benedict in Referenz zu Sapirs Erkenntnissen. Margaret Mead wurde wegen unzulänglicher Arbeiten heftig kritisiert,


3. QUELLENNACHWEIS

3.1. BIBLIOGRAPHIE

Barnard, Alan/Spencer, Jonathan (Hg.) (2003): Encyclopedia of Social and Cultural Anthropology. London: Routledge.

Barnard, Alan (2000): History and Theory in Anthropology. Cambridge: Cambridge University Press.

Barth, Frederick/Gingrich, Andre/Parkin, Robert/Silverman, Sydel (2005): One Discipline, Four Ways: British, German, French, and American Anthropology. The Halle Lectures. Chicago: The University of Chicago Press.

Bohannan, Paul/Womack, Mari/Saenz, Karen (1999): Paradigms Refound: The Structure of Anthropological Revolutions., In: Cerroni-Long, E. L. (Hg.) (1999): Anthropological Theory in North America. Westport: Bergin & Garvey, Seite 19 — 31.

Cerroni-Long, E. L. (Hg.) (1999): Anthropological Theory in North America. Westport: Bergin & Garvey.

Chevron, Marie-France (2004): Anpassung und Entwicklung in Evolution und Kulturwandel. Erkenntnisse aus der Wissenschaftsgeschichte für die Forschung der Gegenwart und eine Erinnerung an das Werk A. Bastians. Wien: Lit Verlag.

Feest, Christian F./Kohl, Karl-Heinz (Hg.) (2001): Hauptwerke der Ethnologie. Stuttgart: Alfred Kröner Verlag.

Gaillard, Gérald (2004): The Routledge Dictionary of Anthropologists. London: Routledge.

Godina, Vesna V. (1999): Foreword., In: Cerroni-Long, E. L. (Hg.) (1999): Anthropological Theory in North America. Westport: Bergin & Garvey, Seite vii — viii

Harris, Marvin (2001): The Rise of Anthropological Theory. A History of Theories of Culture. Updated Edition. Walnut Creek: AltaMira Press.

Kuhn, Thomas S. (1976): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Patterson, Thomas C. (2001): A Social History of Anthropology in the United States. New York: Oxford.

Stagl, Justin (1999): Kulturrelativismus., In: Wörterbuch der Völkerkunde. Berlin: Reimer, Seite 226


3.2. INTERNET

Cultural Relativism Wikipedia: http://en.wikipedia.org/wiki/Cultural_relativism 11/30/2006 6:25:56 PM



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