Skizze: Essay 2
Die Ferien dauern zwar noch an, aber hier ist zumindest eine Skizze des zweiten Essay, der bald abgegeben werden soll:
Zunaechst wird Andre Gingrichs Beitrag zum Woerterbuch der Voelkerkunde berueck-sichtigt, in dem er vier Phasen der geistesgeschichtlichen Entwicklung diagnostiziert (Gingrich 1999: 245 ff.). Zum zweiten seien Spencers Kategorien, er indiziert drei Phasen zur Thematik, in die Ueberlegungen miteinbezogen (Spencer 2003: 352 ff.). Schliesslich orientiert sich die Autorin am Kompendium Gaillards (Gaillard 2004), hier sind besonders sieben Kapitel zur franzoesischen, sowie amerikanischen Anthropologie valent.
Gingrich (1999: 245 ff.) schreibt ueber zwei Aspekte, einen problematischen, der die Ethnologie als Mittel zu parteilichen und staatspolitischen Zwecken herabsetzt, und ei-nen kreativen, weil epistemologisch und innovativ. Vier Phasen gliederten das Wechsel-verhaeltnis zwischen Marxismus und Anthropologie seit dem 19. Jahrhundert. Seit 1848 diskutieren Karl Marx (1818 – 1883) und Friedrich Engels ethnologische Theorien und Forschungsergebnisse. Lewis Henry Morgan (1818 – 1881) . Ab 1890 werden die An-saetze vorerst im deutschsprachigen Raum rezipiert, dann als Doktrin in die Sowjetunion exportiert.
Vier Phasen des Wechselverhaeltnisses nach Gingrich:
1. 1848 – 1890: Teilaspekte des Werks Karl Marx und Friedrich Engels setzen ethnolo-gische Theorien und Forschungsergebnisse auseinander. Geistesgeschichtlich die Phase des Evolutionismus, beeinflusste die Schrift Lewis H. Morgans „Die Urgesell-schaft“ die „Ethnologische Exzerpthefte“ (Krader 1972) von Karl Marx
2. 1890 – 1933: Kautsky, K. und Cunow, H. tragen dazu bei, dass F. Engels Ansatz vor-erst im deutschsprachigen Raum, dann in der Sowjetunion und deren Einflussbe-reich als Doktrin erhoben wird. Der Evolutionismus blieb die massgebliche Lehre, im Gegensatz zu westlichen Ethnologien, die sich vor allem durch F. Boas, B. Mali-nowski und Marcel Mauss davon abwandten. Intellektuelle Marxisten kritisierten die westliche Ethnologie in Belangen der Veraenderlichkeit und Bedingtheit von Formen des Eigentums, der Familie und der Hierarchien in Bezug auf Geschlecht, Macht und Reichtum.
3. 1945 – 1975: Diese Phase wird von der neuen Frauenbewegung, den Unabhaengig-keitsbewegungen in den spaetkolonialen Gebieten und der Studentenrevolte in den 1960er Jahren gepraegt. Vier innovative theoretische Konzeptionen bezeichnen diese Zeit: a. Die Kontrolle ueber Menschen und Ressourcen bei der Analyse unter-suchter Kulturen, b. das Geschlechterverhaeltnis als systematischer Bestandteil jeder Kulturanalyse, c. Ideologien, Kosmologien und Religionen werden als integrale Bestandteile der Gesamtgesellschaft interpretiert, c. der Kolonilaismus wird „als nicht weiter ignorierbare Groesse von historischer Einwirkung, politischer Dominanz und wirtschaftlicher Verflechtung in ethnologische Arbeit einbezogen“ (Gingrich 1999: 246).
4. Ab 1980er Jahre: Spencer bezeichnet diese Phase als „post – marxistisch“, Gingrich bezieht sich auf Spencers (Spencer, Jonathan 1976 Marxism and Anthropology. In: Barnard, Alan/Spencer, Jonathan: Encyclopedia of Social and Cultural anthropology. London)
Drei Phasen nach Spencer, Jonathan:
1 Marx und Engels: Schriften zu anthropologischen Topoi, die die russische und chinesische Anthropologie derart beeinflussten, als sie die Basis fuer selbstbewusste, orthodo-xe Forschung bildeten.
2 Marxistische Theoretiker in den 1970er Jahren teil Spencer in zwei Stroemungen ein, naemlich in a. strukturellen Marxismus und b. kulturellen Marxismus.
3 Post – Marxismus: Arbeitsbereiche von AutorInnen, die stark von marxistischen Ideen gepraegt wurden, aber nicht dogmatisch marxistische Prinzipien vertraten
Marxens Anthropologie (Krader 1976: 12ff.)
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1. Die menschliche Spezies ist Teil der Naturordnung; nichts menschliches liegt außer-halb dieser Ordnung. Die Vorstellung, das Wesen der Menschen sei nicht empirisch, materiell oder wissenschaftlich zu beobachten, ist Phantasie. Es gibt weder objektive noch subjektive Gründe, die Menschheit aus dem übrigen Bereich der Natur zu lösen.
2. Der Mensch ist von Natur aus ein soziales Wesen. Durch das Leben in der menschlichen Gesellschaft werden Konstitution und Funktionen der menschlichen Art gebildet, abhängig von den sozialen Beziehungen einer gegebenen Gesellschaft, und außerhalb dieser Beziehungen gibt es keinerlei Existenz. Das individuelle, menschliche Wesen ist ein Nexus von sozialen Beziehungen, so wie die Gesellschaft ein Nexus individueller Beziehungen ist.
3. Aus einer vorhergenagenen tierischen Existenz hat sich die menschliche Spezies in die gegenwärtige Form und Funktion durch zuerst rohe, später komplexere und ge-wandtere Arbeit in der Gesellschaft entwickelt.
4. Allein die menschliche Spezies hat sich selbst durch die Ausbildung der natürlichen Entwicklungsmöglichkeiten der menschlichen Gestalt, der Hände und des Gehirns erzeugt.
5. Der Dialektik der Kontinuität mit der natürlichen Ordnung, ist ihre Negation, die Disk-ontinuität mit der natürlichen Ordnung, entgegengesetzt. Die dazwischentretende Vermittlung von Arbeit und menschlichem Werk hat uns der natürlichen Umgebung entfremdet.
6. A Der Arbeitsprozeß ist der materielle Austausch mit der Natur, und die Ergebnisse dieses Prozesses sind in die Kultur der menschlichen Spezies eingeschlossen; die Kultur der Menschheit schließt das Feld ein, mittels dessen wir zu der natürlichen Umgebung in Beziehung treten, und bildet gleichzeitig das Feld, auf dem wir für un-sere Erhaltung arbeiten. Die Kultur in ihrer Totalität ist das Instrument, mit dem wir die Natur außer uns und in uns bearbeiten. Sie ist das Werkzeug für unsere Arbeiten, deren Feld ist das kulturelle Feld selbst. B Der Grad der Entfremdung der Menschheit von der Natur wird durch die von uns eingenommene Distanz gemessen, das heißt: durch den Grad der kulturellen Eingriffe in das Verhältnis von menschlicher Gesellschaft und Natur.
7. A Die Entfremdung der Menschheit von der Natur ist eine aktuelle Distanzierung, potentiell jedoch ist die menschliche Art mit der Natur eins, so wie wir in unserer ti-erischen Vergangenheit eine Einheit waren. B Die Dialektik der aktuellen und poten-tiellen Beziehung zur Natur ist der Gegenstand unseres menschlichen Wissens, wel-ches jetzt von natürlichem Wissen ebenso getrennt ist, wie die menschliche Spezies der Natur entfremdet ist; dies ist die erste Entfremdung, die überwunden werden muß. Es ist die erste Entfremdung der urzeitlichen menschlichen Bewohner der Erde, die durch das Dazwischentreten der kulturellen Vermittlung sich selbst von ihrer natürlichen Umgebung trennten.
8. Die menschliche Spezies ist nicht festgelegt, sondern wandlungsfähig. Das frühere Leben der Menschen in einer Gemienschaft hat sich zu einem Leben in einer Gesell-schaft mit sich feindlich gegenüberstehenden Klassen gewandelt. Die darauf fol-gende Entfremdung der Menschheit in der Gesellschaft ist die notwendige Bedin-gung dieses Wandels. Die sekundäre Entfremdung ist deshalb ein abgeleiteter und nicht ein primärer Faktor in der menschlichen Geschichte; sie ist nicht eine Kraft an sich.
9. A Das menschliche Individuum war früher Teil einer Gemeinschaft, von welcher sich der Reiche und Mächtige zuerst abwandte; dieser hatte das Mehrprodukt in seinem privaten Interesse akkumuliert. Die den Mehrwert produzierende Gesellschaft hat die ersten Klasseninteressen und die ersten Individuen, die Klassenindividuen, mit Be-wußtsein ihrer privelegierten Position hervorgebracht. Vom Ganzen abgesondert, verteidigen sie ihr privates Interesse, so daß die Gesellschaft nun geteilt, die öf-fentliche Sphäre von der privaten getrennt war. Die unmittelbaren Prozeduren des Mehrproduktes entwickelten ihre Individualität erst nach der Auflösung der Gemien-schaften, die sie gebildet hatten. B Durch die Produktion eines Mehrwertes und seine ungleiche Verteilung ist die Gesellschaft in gegenseitig antagonistische Klassen geteilt, deren Beziehungen zueinander und zu dem sozialen Ganzen durch ihre Be-ziehung zu diesem Mehrprodukt und seiner Verteilung bestimmt sind. Die Akkumula-tion von Besitz ist ein Ergebnis der Produktion dieses Mehrwertes in der Gesellschaft und seiner ungleichen, unrechten Verteilung. Besitz und seine Anhäufung sind eine sekundäre, abgeleitete, kurz: eine formale Sache. Der Prozeß der Produktion in der Gesellschaft und die Verteilung dieses sozialen Produktes sind die primären Deter-minanten der Bildung sozialer KLassen und ihrer gegenseitigen Beziehungen.
10. Die aus Gleichen bestehende Urgemeinschaft ist die revolutionäre Form der Gesell-schaft, welche nach der historischen Veränderung, die die Menschheit erfahren hat, und nachdem die Ausbeutung in Form von Sklaverei, Leibeigenschaft und Kapitalis-mus überwunden ist, einen neuen Inhalt haben wird.
11. Die unmittelbaren Produzenten, die zur ausgebeuteten Klasse in ihren verschiede-nen Formen gehören und die keine Produktionsmittel besitzen, sondern nur ihre Ar-beitskraft haben, die sie verkaufen, bilden eine Klasse, die in sich selbst den Keim der zukünftigen Gesellschaft trägt. Der Teil wird zum Ganzen durch einen revolutio-nären Akt: die Umwälzung der existierenden Gesellschaft. Die Vergangenheit wird durch ihre Transformation zur Zukunft; sie wird zu etwas anderem, als sie bisher ge-wesen war, sie wird neu geschrieben. Nur deshalb ist der Sozialismus möglich." (Krader 12 ff.)
Bibliographie
Arbeitsgruppe Ethnologie, Wien (Hg.) (1989) Von fremden Frauen. Frankfurt: Suhrkamp
Barnard, Alan/Spencer, Jonathan (Hg.) (2003) Encyclopedia of Social and Cultural An-thropology. New York: Routledge
Das, Vena (1994) The Anthropological Discourse on India: Reason and Its Other. In: Borofsky, Robert (Hg.). Assessing Cultural Anthropology. New York: Verlag
Gaillard, Gérald (2004) The Routledge Dictionary of Anthropology. New York: Routledge
Gingrich, André (1999) Marxismus und Ethnologie. In: Hirschberg, Walter. Woerterbuch der Voelkerunde. Berlin: Reimer
Krader, Lawrence (1976) Einleitung. In: Marx, Karl. Die ethnologischen Exzerpthefte. Frankfurt: Suhrkamp
Scheper – Hughes, N. (1994) Embodied Knowledge: Thinking with the Body in Critical Medical Anthropology. In: Borofsky, Robert (Hg.). Assessing Cultural Anthropology. New York: Verlag
Spencer, Jonathan (2003) Marxism and anthropology. In: Barnard, Alan/Spencer, Jona-than (Hg.) Encyclopedia of Social and Cultural Anthropology. New York: Routledge
Wolf, Eric (1982) Europe and the People Without History. Berkeley: University of California Press
© Sybille Amber: Intellectual Property 2005/2006
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